Yoga und Meditation in Schenefeld 
 

                                                                                                        

                                                                                                             Zen 2004 in Japan
- Vipassana oder Zen ? -

Es ist der 29.04.2004. Ich befinde mich seit kurzem im Hosshinji-Tempel in Obama, habe gerade vor zwei Tagen vom Bukkokuji in dieses Kloster gewechselt. Was lerne ich in diesem Tempel? Vielleicht mehr als drüben im Bukkokuji , weil der deutsche Shodo hier seit vielen Jahren lebt und sehr gesprächsbereit ist. Für Shodo ist der Unterschied zwischen  Vipassana und Zen immens. Während Vipassana genaue Anleitung gibt und Stationen beschreibt auf dem Weg in die Vertiefung, so dass die Ausgangssituation und auch das meditative Ziel genau fixiert werden, vermeidet man im Zen jede Beschreibung eines bestimmten allgemeingültigen Weges oder gar eines Zieles. Die Zen Übung ist das Loslassen aller Konzepte, aller Ziele und allen Strebens. Das zielorientierte Tun fördere das Ego, das Habenwollen, die Gier und fixiert unser Handeln an dem, was unser Geist sich ausgedacht hat in seiner Begrenztheit. Wir können unsere Begrenztheit nur überschreiten, indem wir absichtslos werden, offen für das Unvorhergesehene, was außerhalb unseres Geistes liegt. Die Anleitung kann nur individuell von einem Meister gegeben werden, der immer wieder versucht uns zu irritieren, bis wir die umfassende Einheit aller Dinge, ihre So-heit, erkennen können. Immer wieder neigen wir dazu, uns Ziele zu setzen und Strategien zu entwickeln, diese Ziele zu erreichen. Zum Beispiel sind wir mit Abneigung behaftet, neigen zu Vorurteilen, bestimmte Menschengruppen wie z.B. Trinker oder Raucher oder gewalttätige Menschen abzulehnen. Und wir lieben vielleicht eher empfindsame Menschen, die auch meditieren. Oder wir verehren große Denker wie Kant oder Heidegger. All das aber sind Hindernisse und Begrenzungen. Auch die Ablehnung der Sinne und Sinnlichkeit ist ein Konzept. Wie also sitzt man im Zen im Unterschied zum Vipassana? Äußerlich scheint es das gleiche zu sein. Im Zen „wärmt“ man das Kissen und umfängt alles, was in der Meditation erscheint, als einen Teil von sich selbst ohne zu bewerten, im Vipassana halte ich die Konzentration mit einer inneren bemühten Anstrengung z.B am Fallen und Heben der Bauchdecke, lenke die Aufmerksamkeit auf die Sensationen im Körper und benenne diese Wahrnehmungen, als wenn ich einen Bericht abzugeben hätte. Das habe ich ja auch tatsächlich bei den Gesprächen mit dem Meditationslehrer im Vipassana-Retreat so gemacht. Ich bin also voll beschäftigt und gebe mir exakt Rechenschaft, was an Wahrnehmungen im Geiste aufgetaucht ist. Dieses Tun ist recht befriedigend, es steigert die Aufmerksamkeit auf Details, die im Außen oder im Inneren auftauchen. Reine Konzentration! Gleichzeitig mit der Aktivität des Beobachtens und Benennens verschwindet die Beschäftigung mit dem Alltag und seinen Problemen, es ist wie ein Heraustreten durch eine völlig neue Aufgabenstellung. Die Übung wird unterstützt durch eine starke individualistische Meditationspraxis, das heißt die Glocke zum Beginn oder Ende der Meditation  ist ein eher unverbindliches Signal. Jeder startet oder beendet seine Sitzphase nach eigenem Gutdünken, z.B sitzen einige Meditierende weit länger als eine Stunde, die Sitzhaltung spielt auch kaum eine Rolle, einige sitzen völlig eingesunken und schief auf ihrem Kissen. Ebenso individualisiert ist das Gehen, man geht nicht in Reihe wie beim  Zen, was ja eine gewisse Abstimmung erfordert über die Strecke und Geschwindigkeit. Im Vipassana geht jeder seine eigene Strecke auf und ab, nur auf den eigenen inneren Prozess achtend. Von dieser Praxis, wie ich sie in Burma erlebt habe, unterscheidet sich die Zen-Praxis in diesem Soto-Tempel grundlegend. Alles ist bis ins letzte durchritualisiert, allein das Verhalten beim Essen ist eine eigene Wissenschaft, in die uns hier Shodo einführt. Jeder Handgriff ist vorgeschrieben, Shodo veranstaltet mit uns zwei Probeessen, damit wir halbwegs alle Regeln beherrschen. Dieses grundlegende Prinzip einer sehr verfeinerten Ritualpraxis erstreckt sich auch auf die Meditationspraxis, so dass das innere Erleben in der Meditation da hinter der Form zurücktritt. Warum das ganze? Welcher Sinn verbirgt sich dahinter, welche Idee, welche Botschaft? Ist es hier eine kulturbedingte Variante des Buddhismus, die von dem japanischen Wunsch nach Ordnung, Struktur und Disziplin geprägt ist? Ordnung und Ritual haben immer den Sinn von innerem Halt, setzen dem unwillkürlichen, unberechenbaren, wechselhaften Leben mit all seinen Risiken etwas Verlässliches entgegen. Rituale beruhigen und geben Gewissheit, die es eigentlich im Leben nicht gibt. Kann dann aus dieser Ruhe und Ordnung der erleuchtete Geist aufblühen?
                                                                                                                Zen   1.5.2004
Es gibt keinen Halt. Es gibt keine immer gültige Wahrheit, keine absolute Aussage. Alles fließt, auch die Wahrheiten. Es gibt keinen allgemeingültigen Weg. Es gibt kein allgemeingültiges Ziel, das es zu vermitteln gibt wie z.B. Nächstenliebe, Mitgefühl, Erleuchtung oder freier Geist. Es gibt nur relative Wahrheiten, ihre Gültigkeit ist kontextgebunden, abhängig von Raum und Zeit. Sie müssen immer wieder auf ihre Gültigkeiten überprüft werden, von Einzelnen wie vom Kollektiv. Sie müssen wachsen, reifen und sterben können, um neuen Wahrheiten Platz zu machen. Ist die Aussage: „Alles fließt“ eine immer gültige Wahrheit? Ist die Aussage: „Alles ist leer, existiert nur in Bezug auf Kontexte“, eine immer gültige Aussage? Ist die Aussage: „Neben dem Alltagsgeist existiert der Erleuchtungsgeist, der die nichtduale Einheit hinter aller Form sieht“ allgemeingültig? Ich werde diesen Widerspruch nie auflösen, jedenfalls nicht durch Denken.
Der Mai beginnt für mich in diesem Soto-Kloster. Gestern dachte ich noch, Soto sei Spiritualität vor dem Herzstillstand, und ich störte mich an dem endlosen Formalismus, den sie hier praktizieren. Aber habe ich tief genug geschaut? Habe ich verstanden, dass das hier nur eine der unendlich vielen Spielarten des Geistes ist, der sich hier auf diese spezielle Weise ausdrückt? Alles ist bis aufs Kleinste stilisiert, der Garten, die Zeremonie, aber die hier gelebte Meditation holt die Weite des Kosmos in diesen kleinen Raum, diese Weite findet hier ihren Ausdruck nicht nur in der Rezitation oder im Zen-Garten. Sie findet ihren Niederhall in den lebendigen Menschen und ihrer Menschlichkeit. In einer kleinen Welt wie hier im Kloster kann es unendliche Weite geben, und in der Weite der Welt kann es Not, Einsamkeit Oberflächlichkeit und Unentschiedenheit geben.
Ohne Verantwortung wird das Leben leicht bedeutungslos und nichtssagend. Die Verantwortung für uns selbst reicht nicht aus, um wirklich glücklich zu sein. Das ist das Problem unserer extrem individualistischen Zeit.
Sätze von Sekkei Roshi begleiten mich hier:” Ein wirklich guter Zustand ist der, wo Sie eins geworden sind mit ihrem Inneren Durcheinander und ihren inneren Kämpfen. Wenn sie beim Sitzen einen Weg von der Verblendung zur Erleuchtung suchen oder einen Ausweg suchen, so machen sie das Sitzen zu einem Mittel oder einer Methode. Das ist das schlimmste was passieren kann.”
Noch ein Zitat von Charlotte Joko Beck, die ich hier lese und die mich zutiefst inspiriert: “ Sitzen Sie einfach nur, sitzen, sitzen und noch mal sitzen, bis Sie das Sitzen auch vergessen haben. Wenn Sie das tun, kommen sie in einen Zustand vor ihrem Menschsein. Sie können dann in einem JETZT Zustand leben, wo nicht der geringste Spalt für Ihre persönlichen Gedanken ist, in einem Jetzt, wo es weder Zeit noch Distanz noch Raum gibt. Sie leben dann in einer ständigen Abfolge eines solchen Jetzt. Dort gibt es keinen Anfang und kein Ende.”

                                                                                                                             Zen   5.5.04
Zen ist nichts anderes als lieben zu lernen, indem wir unseren eigenen von egozentrierten Bedürfnissen angetriebenen Blickwinkel überschreiten und in die Lage kommen. die Welt mit den Augen  anderer Wesen ohne das ständige Geplapper  eigener Bewertungen anzuschauen. Weil dieser Vorgang des Zurücknehmens unserer Ego-Sicht so schmerzhaft ist, leide ich jetzt, habe aber mit diesem Leiden die Chance, ein Stück weiter zu kommen. Dieser Schritt sieht so aus, dass ich immer genauer meine Mechanismen durchschaue. Z.B bringe ich Personen in Abhängigkeit von mir, um mir ihrer Zuneigung gewiss zu sein. Genau damit scheitere ich aber immer wieder. Das Beste, was mir im Moment begegnen kann, ist kein erotisches Abenteuer, sondern dieses Zen-kloster. Das hier ist die eigentliche Liebesschule und ich entdecke oder wieder entdecke einen anderen Dieter als den von vor zwei Monaten, der voller Außenorientierung und Genusssucht unterwegs war.. Dieser andere Dieter. der wirklich zuhören und verstehen kann ohne Selbstgefälligkeit und Ignoranz, der zum Kern der Probleme vordringt und hinlauschen kann auf die feineren Töne, die zwischen den Worten schwingen.
Japan 8.5.04
Mein Gespräch (Dokusan) mit dem Roshi: Ich frage: Welche Bedeutung hat Konzentration im Zen und welche Methode ist die richtige? Er sagt: Mit dem Objekt, das im Geist auftaucht, werde eins. Versuche nicht zu verstehen, weniger zu beobachten als damit eins zu sein. Die Atembetrachtung kann hilfreich sein. Aber trenne nicht zwischen dem Beobachter und dem beobachteten Atem, dann ist auch das Ich da, welches beobachtet. Meine Frage: Wie soll ich dann Ursachen von Konflikten erkennen? Er sagt: Du hast schon verstanden, werde eins damit, werde eins mit dem Schmerz und akzeptiere.
Das wichtigste Element von Meditation für mich im Moment ist und bleibt der Schritt in die Bewusstwerdung meiner Gedanken und meiner Gefühle, der Schritt in die offene Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments. Was fühle ich jetzt gerade? Was geht in meinem Kopf vor? Zum 500sten Mal derselbe Film! Wer ist derjenige, der diesen Film laufen lässt? Bin ich dieser Film? Wer ist derjenige hinter dem Film? Dies durchforschend springt die Meditation in eine Freiheit und Weite und Offenheit, in der alles angenommen ist, alles ist okay und gehalten von göttlichen gütigen Händen, in denen auch ich ruhe und mich in diese hineinsinkend entspannen kann, kann mich erholen von all dem Wollen, Planen und Kalkulieren. Es ist alles getan, alles vollbracht und vollendet. Ich kann dem Sein weder etwas hinzufügen noch entnehmen. Was nehme ich aus der Meditation mit in den Alltag? Sicher nicht Selbstlosigkeit. Die Erfahrung der Stille lässt mich länger verweilen bei der Beobachtung eines Problems, eines Menschen, meiner eigenen Reaktion, und es findet so etwas wie einverstanden sein statt. Ja, auch das ist möglich, ist Ausdruck des Lebens, Ausdruck des Wunsches des Lebens nach sich selbst, hat seinen Platz in dieser großen Vielfalt von Möglichkeiten, hat seine Ursachen und Folgen, seinen Platz in der unendlichen Kette des Lebens.


 Zen 11.5.04
Das Leben ist doch weiser als alle Vernunft. Ich stelle fest, dass ich jeden Tag zu anderen gültigen Einsichten über mich oder meine Umgebung komme und wie schnell gültige Einsichten sich relativieren und zu begrenzten Sichtweisen herabgestuft werden müssen. Das nährt zu Recht mein Misstrauen gegenüber Denkergebnissen oder allgemein gegenüber dem, was in meinem Geist auftaucht. Es sind immer nur Momentaufnahmen eines unendlich laufenden Films mit endlosen Perspektiven. Ich ordne mich in das Klosterleben mit Freude und ohne Widerstände ein,  akzeptiere die Disziplin, das Ritual gefällt mir, und ich bin sowohl Beobachter als auch Erlebender. Ich registriere mit Staunen, wie diverse Europäer hier in der japanisch mittelalterlich anmutenden Klosterkultur aufgehen und sich einfügen. Im Grunde ist es gleichgültig, welche besondere Art von Disziplin oder Gesang oder Ausrichtung gewählt wird, das ist austauschbar, es geht einfach darum, sich in etwas Größeres einzufügen, um dem Leben Halt und Sinn zu geben. Da müssen die gesungenen Texte keinen Sinn ergeben, es reicht, wenn alle den Text kennen und man einen gemeinsamen Rhythmus findet. Das ist das allgemeine. Aber was gibt es besonderes gerade an dieser Tradition? Es ist der Nimbus des kämpferischen Individuums auf dem Wege der Selbstüberwindung, Zen ist etwas für Einzelkämpfer, die sich mit ihrem Schwert eine klare Schneise durch das Dickicht des alltäglichen Chaos schlagen, als einzige Begleitung wird der verwirklichte Meister akzeptiert, der aber keine Nachfolger oder Kopien akzeptiert, sondern dabei hilft, dass jeder sich als ein Original entwickelt und verwirklicht. Deswegen ist im Zen alles erlaubt, es gibt keine allgemeine Wahrheit, jeder muss sich selbst erkennen und zum Ausdruck bringen. Die allgemeine Lehre ist, dass es keine allgemeingültige Lehre gibt. Was für den einen Menschen eine hilfreiche Methode ist, ist für den anderen Gift. Auf dieser höchsten Stufe der Individualität ist auch die höchste Stufe der Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen erreicht, man ist unbestechlich und unerschütterlich, diese Qualität der Individuation ist nur möglich auf der Grundlage einer tiefreichenden Selbstergründung, die auch die Emanzipation vom Meister als dem Geburtshelfer einschließt. Zen hat also wirklich nichts mit Nachfolge zu tun, wie z.B im Christentum, es gibt kein Ideal, kein Vorbild, kein Ziel, keine Methode und kein Dogma. Es gibt nur diese umfassende Freiheit. Das aber ist die Essenz des buddhistischen Teachings jenseits aller Konzepte.
                                                                                                             Zen 13.5.04
I
ch sitze mehr als 5 Stunden täglich, eine schöne Lernsituation. Ich möchte alles rausholen aus diesem Klosteraufenthalt. Zum Glück lässt der Rahmen hier die Möglichkeit so häufig zu sitzen. Ich betrachte meine Gedanken zunehmend als eine Art von Entertainment, wie ein eingeschalteter Fernseher, der aber mit seinem Programm weniger und weniger mit mir selbst zu tun hat. Es sind halt Gedanken, heute diese, morgen jene, die mit der Wirklichkeit dieser Welt nur relativ lose verknüpft sind. Es entstehen immer wieder andere Aspekte, auf die das Denken hinlenkt, durch Denken entsteht aber niemals ein Gesamtbild. Bleibt der Fernseher aber ausgeschaltet, entsteht auch kein Gesamtbild, das man jemandem erklären könnte. Es ist bei mir so, dass die Skepsis gegenüber den Denkergebnissen wächst und die Identifikation mit einer bestimmten Sichtweise ebenso. Das ist eine neue Form von Freiheit. Alles, was hier im Kloster von mir verlangt wird, nehme ich ohne Murren an, egal ob es sich darum handelt, Scheiße auf den Kompost zu tragen, im Regen zu graben oder den Fußboden auf japanische Art zu reinigen. Heute hat mir ein Mönch in der Küche meinen Seidenschal abgenommen. Das sei ein Kleidungsstück ausschließlich für Roshis. So erlebe ich Stück für Stück die genauen Regeln, nach denen hier das Klosterleben funktioniert. Es ist mir recht. Ich verneige mich vor einer alten, erprobten und lebendigen Kultur, ohne diesen Stil kopieren zu oder immer ihr leben zu wollen. Es ist kein Widerstand da, nur ein leichtes Schmunzeln mitunter. Viel schwieriger zu verstehen für mich sind hier die Europäer, die über Jahre hier verweilen und diese Kultur offenbar ganz in sich aufnehmen. Ich empfinde da mehr Fremdheit und spüre auch diesen Hang zur Arroganz mir gegenüber und erlebe Unnahbarkeit bei einigen gegenüber solchen Kurzzeitgästen wie mich. Was werden das wohl einmal für Roshis? Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg, bis dahin steht noch dauerhafter Verzicht auf dem Programm, Einordnung und Unterordnung, kein Privatleben, keine Liebesbeziehung, kalte Füße im Winter  und Dauerregen im Sommer, zu leben in einer fremden und distanzierten Kultur, keine Bewegungsfreiheit, Arbeit und Versorgung im und mit dem klostereigenen Garten, kaum Freizeit, ein durchorganisierter Alltag, ein Tag wie der andere, monate- und jahrelang. Das Ergebnis ist vielleicht eine Erleuchtung, auf die ich unter diesen Umständen lieber verzichte. Aber darum geht es wahrscheinlich gar nicht. Das sagt ja selbst die Zen Lehre, dass wir dieses Ziel fallen lassen müssen, um zu reifen. Es geht hier auch nicht  wesentlich um die praktischen Aspekte, z.B die Vermeidung eines Berufsalltags oder das drängende Problem der Einsamkeit durch die klösterliche Gemeinschaft gelöst zu haben. Im Zentrum steht die quälende Frage nach dem Sinn des Lebens, die sich im Westen durch die klassischen Lebensbilder von Familie und Kindern, Haus und Arbeit nicht mehr beantworten lassen. Das macht die große Anziehungskraft solcher Zentren aus, die durch klare Vorgaben und Gewissheiten aus der Kraft der lebendigen Tradition eine immer noch gültige Antwort bereithalten. Der Westen hat selbst Schuld, dass er die mystische Tradition der christlichen Religion mehr oder weniger  ausgerottet hat und nun in Zeiten des multikulturellen Austausches diese Dimension wieder vom Osten hereingetragen bekommt.
                                                                                                                  Zen 14.4.04
Mein Gespräch mit dem Roshi hier im Bukkokuji: Er fragt mich zunächst nach meiner Praxis. Ich antworte, ich folge meinem Atem und versuche in den gegenwärtigen Moment zu springen. Er ist damit einverstanden und fragt mich dann, wer mir das mit dem Springen empfohlen hat. Es ist ihm offenbar zu aktiv, zu gewollt. Dann frage ich ihn nach der Vipassana-Methode des Benennens der jeweiligen Gedanken. Er lässt sich diese Methode des Benennens genau von mir beschreiben und antwortet: Completely annecessary. Ich erkläre ihm ausführlicher, dass meine Gedanken während der Meditation sich immer wieder mit meinem aktuellen persönlichen Leiden beschäftigen. Er erkundigt sich genauer, zeigt mir sein Mitgefühl und bemerkt dann auch Angst bei mir. Seine Empfehlung: Bleibe im gegenwärtigen Moment, erfasse die Gegenwart von allem, auch der Gegenwart der verflossenen Freundin. Es ist alles in diesem Moment in dir enthalten. Es besteht keine Notwendigkeit, im Außen nach etwas zu suchen. Bleibe bei einer Meditationsmethode, denn das Wechseln der Methode setzt eine Entscheidung voraus, die das Ich stärkt.

                                                                                                                 Zen - 16.5.04
Und gestern habe ich doch noch so etwas wie ein Durchbruch in der Meditation erlebt. Es kamen zum Atmen die Worte: Liebe, Vertrauen, Mut. Es war eine Stille und eine von innen kommende selbstständige absichtslose Bewegung meiner Gesichtsmuskeln und meiner Zunge, ich habe es nur mit Staunen verfolgt. Der Ernst der Sache mit der zurückliegenden Trennung geht verloren. Bevor ich noch vor Kummer eine Herzattacke bekomme, hilft die Meditation mir in eine Weite, wo Vertrauen und Mut da sind. Wie komme ich in diesen Zustand? Ich weiß es nicht. Es ist die Frucht von drei Wochen täglich drei bis sechs Stunden auf dem Kissen sitzen und dem Atem folgen. Warum gehe ich in mehrere Zentren, vergleiche ihre Methoden, probiere alles aus, schaue mir viele Lehrer an, warum halte ich Distanz zu allem und lasse mich nicht ganz und ausschließlich auf eine Sache ein? Warum gehe ich nach intensiven Meditationserfahrungen  an den Strand und genieße die Spaßkultur? Breche die Regeln und gehe hinter das zurück, was ich gelernt habe. Es ist ganz einfach! Ich bin zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wirklich interessiert an Erleuchtung, An diesem radikalen Zurücktreten hinter mein Ego, dieser totalen Selbsttranszendenz. Nach wie vor bin ich blutig verliebt ins Leben mit all den Facetten, möchte mein Ich hätscheln und füttern mit Wissen und anderen Sachen, die ich genießen kann. Möchte Einseitigkeit, Emotion, bin auch einverstanden mit der bitteren Seite allen egoistischen Wollens. Es reicht mir, durch die Übung der Vertiefung zu erfahren, dass es mein Ego eigentlich nur als Einbildung gibt, ein transparentes Gebilde ohne eigenes Licht. Beleuchtet von einem unendlich viel größeren Licht im Hintergrund, von dem jedes Ego sich das Licht borgt. Und es bildet sich gerne ein, dass es aus sich selbst etwas produziert, ein sehr eitler Irrtum, der uns stolz oder größenwahnsinnig machen kann. Buddhas Hinweis „seid euch selbst ein Licht“ meinte nicht nur, dass wir nicht anderen Lehrern hinterherlaufen sollen, sondern dass wir das große Licht erkennen, was aus dem Hintergrund uns alle beleuchtet. Diese Quelle für das Leben nutzbar zu machen geht nur, wenn man das eigene Ego transparent gemacht hat für das Licht im Hintergrund. Diese Selbsttransparenz ist ein großer Vorteil für mich, weil ich nicht mehr ganz so identifiziert bin mit meinen Wünschen, Zielen und Leiden. Ich finde eher in ein Lächeln, verliere mich weniger in Selbstmitleid oder Selbstgerechtigkeit. Dieser Soto Tempel Bukkokuji ist absolut zu empfehlen für Meditierende und Suchende, die einen längeren Aufenthalt planen. Auch der hiesige Roshi ist beeindruckend und überzeugend. Andererseits ist es nicht mein Platz für längere Zeit, es fehlt der Witz, der Charme, die Leichtigkeit des Seins. Das habe ich aber auch in Burma nicht gefunden im Vipassana. Von allen Zentren ist dies immer noch das überzeugendste. Die Verbindung mit körperlicher Arbeit, einer das Zentrum tragenden Hintergrundkultur, der Ernst der Meditationspraxis und der Mitübenden, die hohe Disziplin wie auch das Gemeinschaftsleben sind Aspekte, die die Übung vertiefen helfen.