Über Liebe
“Liebe ist immer neu, frisch, lebendig. Sie hat kein Gestern und kein Morgen. Sie ist jenseits der gedanklichen Unruhe. Nur der unschuldige Mensch weiß, was Liebe ist, und der unschuldige Mensch kann in einer Welt leben, die ohne Unschuld ist. Dieses Ungewöhnliche, das der Mensch ewig gesucht hat -…- wird er nur finden, wenn es dem Denken gelingt, sich selbst zu verstehen und auf natürlichem Wege zu einem Ende zu kommen.“ J.Krishnamurti, „Einbruch….“ S.77
„Love can not be cultivated by thought. Love can perhaps come into being when there is complete silence, a silence, in which the meditator is entirely absent. “
J.Krishnamurti, „Freedom of… „ S.160
Über Liebe zu sprechen kann bedeuten die Gedanken großer Denker zu zitieren oder das Verständnis von Liebe in den großen wichtigsten religiösen Systemen zu erläutern. Man könnte z.B. mit Adorno beginnen, der gesagt hat, dass Liebe da beginnt, wo wir Schwäche zeigen können, ohne Stärke zu provozieren. Ein sehr schöner Satz. Ebenso könnte man mit den alten Griechen beginnen und der begrifflichen Unterteilung in Sexos, Eros und Agape. Man könnte das Liebesverständnis des Neuen Testaments anhand der Jesus-Geschichten vom verlorenen Sohn oder vom barmherzigen Samariter erläutern.
Ein ganz anderer Zugang funktioniert über die exakten modernen Wissenschaften, die die Liebe im Zusammenhang mit Erkenntnissen über Hormone oder die Neurobiologie und Gehirnforschung zu erklären versuchen. All diese Zugänge sind wichtig und liefern Erkenntnisse und auch Begriffe, die helfen können, das Phänomen Liebe zu erfassen.
Welchen Weg geht Krishnamurti in seinen Vorträgen über Liebe und Partnerschaft?
Krishnamurti stellt Liebe außerhalb unserer gewohnheitsmäßigen Beziehungsformen und der Anpassung an kulturelle Gepflogenheiten. Es gibt für ihn keine Möglichkeit, auf dem Wege des Denkens unsere Liebesfähigkeit zu steigern. Damit wirft er den nach der Liebe fragenden Menschen auf sich selbst zurück. Warum fragen wir uns nach der Bedeutung der Liebe in unserem Leben? Mit dem Denken kreieren wir ein Ideal, welches uns in Gegensatz zu unserem gegenwärtigen Leben stellt. Wir verlieren die unmittelbare Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks und leben im Modus des Denkens, Reflektierens und Analysierens in der Vergangenheit, der Erinnerung, der Reproduktion. Damit leitet Krishnamurti eine Katharsis des Denkens ein, er verhilft uns zu einer Selbstbeobachtung oberhalb des Denkens, indem wir das Denken als Prozess in uns selbst zum Gegenstand der Wahrnehmung machen.
Zum Beispiel: Denke ich jetzt über Liebe nach, weil ich in mir einen Mangel wahrnehmen kann? ODER: Denke ich jetzt über Liebe nach, weil ich das letzte große Geheimnis des Lebens mit der Waffe des Verstandes entschleiern möchte? ODER: Glaube ich nach wie vor, dass Weisheit ein Resultat denkerischer Aktivität sein kann?
Diese und ähnliche Fragen sind eine große Hilfe, meinen (unseren) inneren Mechanismus des Denkens, der auch eine starke Gewohnheit ist, zu unterbrechen. In den dann entstehenden Lücken zwischen den Gedanken kann dann das einsetzen, was einige Philosophen das Staunen nennen, in Religionen oft als Hingabe bezeichnet wird oder im Zen als diese Offenheit zur Erfahrung des Nichts, der Leere, der ein anderer Ausdruck ist für die Unermesslichkeit und Komplexität des Lebens. Vermutlich ist das, was mit dem Begriff Liebe ausgedrückt werden möchte, näher an diesem Erlebnis des Staunens, der Hingabe und der Leere als an dem, was über das Denken zum Ausdruck gebracht werden kann.
Ebenso lässt sich behaupten, dass Weisheit eher ein Resultat der Stille und des Loslassens von Wissen ist als das Anhäufen von Erkenntnissen. Darauf weisen diverse reif Gewordene hin, dass Weisheit sich nicht erlernen oder lehren lässt. Das Denken wird damit nicht für belanglos erklärt, sondern eher zurückgestuft als eine nachrangige Aktivität, die im Anschluss an die gewonnene Erfahrung stattfindet und hilft, diese in das Gesamtsystem unseres Bewusstseins zu integrieren.
Vor diesem Hintergrund stelle ich mir selbst jetzt die Frage nach meinem Verständnis der Liebe im eigenen Leben und in der momentanen Empfindung. Wie erfahre ich Liebe jetzt, frage ich unmittelbar. Wenn ich die Lehren der Weisen berücksichtige, sollte ich an dieser Stelle lieber schweigen. Die einzigen, die vielleicht sprachlich den Geschmack und die Facetten der Liebe annähernd ausdrücken können, sind die Poeten. Philosophie versucht es letztlich doch über den Verstand und scheitert. Für mich ist es die Erfahrung, Teil von etwas zu sein, was ich nicht zu ergründen in der Lage bin mit den mir gegebenen Möglichkeiten. Wie ein Baby sich seiner Mutter, ihrer Fürsorge und der Nahrung hingibt, geben wir uns etwas Größerem hin, ohne wirklich zu verstehen, was passiert. Wir geben uns hin und erleben vielleicht Glück oder Vernichtung, was das Leben jeweils gerade bereithält. Natürlich möchte der Verstand begreifen, kontrollieren und Sicherheiten schaffen. Aber leider verhindern wir durch diese Absicherungsübungen gerade das Wunder der Liebe. Was kann ich tun, um diesem Wunder Raum zu geben, dass es stattfindet? Eben nicht kontrollieren und verstehen wollen, denn das verhindert, dass die Tür des Herzens aufgeht. Sich vertrauend auf das Risiko einlassen, das bisher Unbekannte und Ungesehene für möglich halten, dieses Gefühl des Staunens zulassen, nicht über den Dingen und Ereignissen stehen wollen sondern mitten drin. Für mich ist dieser Aufenthalt in Indien (und an einer Krishnamurti-Schule) ein Schritt, aus den gewohnten Bezügen herauszutreten in eine neue überraschende Welt mit indischen Lehrern und Schülern, einer fremden Kultur mit anderen Sichtweisen und Gewohnheiten. Es ist ein Schritt, der die Tür des Herzens aufmacht. Natürlich versuche ich auch zu verstehen, was ich hier erfahre, es ist aber nachrangige Aktivität nach dem unmittelbaren Erleben und ist frei von dem Versuch einer Kontrolle oder Bewertung. Vielleicht ist es ja so, dass Reisen und sich auf Neues einlassen die Fähigkeit zur Liebe steigert.
Wir können niemals das Verständnis für Liebe oder die Qualität von Weisheit aus Büchern oder denkerischen Prozessen gewinnen. Andererseits können wir aus Büchern und Texten die Erfahrung von Liebe und die Qualität von Weisheit herauslesen, wenn wir in uns selbst schon die Erfahrung gemacht haben. Das ist wie ein Wiedererkennen und Verstärken dessen, was wir in uns selbst schon wahrgenommen haben. Kennen wir dies aber nicht, so ist eine normale Reaktion entweder Neugier oder Unverständnis und Abwehr.
Jeder Mensch kann sich regelmäßig diese selbstenthüllende Frage vorlegen und ehrlich zu beantworten versuchen. Wie erfahre ich Liebe jetzt? Was bedeutet für mich Liebe? Es ist eine Frage, die den Menschen zwangsläufig irgendwann über das Denken hinausführt.